Er ist bekannt dafür, dass er die allerhöchsten Anforderungen stellt. Die Spannung muss gehalten werden. Das Orchester darf nie nachlassen. Das sind die Maximen des Christian Thielemann, und wenn man sieht, wie weit er damit gekommen ist, dann wird man ihm kaum widersprechen wollen. Der Erfolg gibt ihm recht. Sein Name leuchtet inzwischen ähnlich hell wie derjenige Herbert von Karajans, dessen Assistent er in jungen Jahren war.
Seine Ausnahmebegabung hat ihm die Mission eingegeben, die Musik von Beethoven, Wagner oder Strauss auf dem höchsten Niveau erklingen zu lassen, das im 21. Jahrhundert möglich ist. Und dass er dies wirklich vermag, hat er mit der Dresdner Staatskapelle eindrucksvoll bewiesen. Unter seiner Führung ist das Traditionsorchester zu einer Institution von Weltrang aufgestiegen.
Thielemann hat dem Orchester feine Unterschiede eingeprägt. Häufig sieht man ihn mäßigende Zeichen geben: nicht zu laut, nicht zu schnell. Thielemann will damit keineswegs das Explosive der romantischen Musik abschwächen, sondern im Gegenteil: Durch die kontrollierten Steigerungen kostet er die Gefühlswallungen der romantischen Musik erst richtig aus.
Mit “Elektra” hat sich Thielemann an eine der modernsten Kompositionen von Richard Strauss gewagt. Der Komponist selbst betonte, dass er mit dieser Oper bis an die Grenzen der “psychischen Polyphonie” gegangen sei. “Psychische Polyphonie”? Was wollte uns Strauss damit sagen? Vielleicht, dass “Elektra” ein Stoff ist, der alle Stimmungsfelder der menschlichen Seele durchmisst. Und um die innere Spannung Elektras darzustellen, die ihren von der Mutter Klytämnestra und von deren Liebhaber Aegisth ermordeten Vater rächen will, musste der Komponist ja auch bis an die Grenzen der Harmonik gehen. Die Oper ist jedenfalls explosiv, sie ist heftig, zugleich aber auch zart und inniglich. Sie enthält alle emotionalen Schattierungen, die man sich vorstellen kann, und hat mit ihren gewagten Harmonien seit jeher eine große Faszination ausgeübt.
Das Libretto aus der Feder Hugo von Hofmannsthals verleiht der Oper einen starken poetischen Glanz. Das genießt man bei der jetzt erschienenen Aufnahme in besonderer Weise, denn die Artikulation der Sänger ist so gut, dass man jedes Wort versteht. Sopranistin Evelyn Herlitzius geht in der Rolle der Elektra voll auf. Ihr Gesang vibriert. Die enorme Energie, die in Elektras Rachegefühlen gespeichert ist, kommt in ihrer Stimme hochkonzentriert zum Ausdruck. Aber wenn ihr verzweifelt-sehnsüchter Ruf nach dem Vater ertönt (“Agamemnon, Agamemnon”), dann spürt man auch die zarte Seite dieser Frau. Elektras Mutter Klytämnestra wird von Waltraud Meier nicht unbedingt monströs gesungen. Klytämnestra hat ihr eigenes Leid, denn sie verlor durch Agamemnon ihre Tochter Iphigenie. Der famose René Pape singt einen beherzten Orest. Das ist der Bruder Elektras, der den Rachemord an Klytämnestra und Aegisth durchführen soll. Das Orchester trägt dieses hochdramatische Setting mit viel Raffinement. Es übertönt den Gesang nie und lässt es doch, wenn es nötig ist, heftig krachen. Auf diesem Hintergrund wirken dann auch die melodischen Passagen besonders eindringlich. Kurz: Ein weiteres Meisterstück von Christian Thielemann.