Gemeinsam mit der Staatskapelle Berlin und dem Dirigenten Daniel Barenboim stellt die Ausnahmesängerin ihre Vielschichtigkeit unter Beweis und fächert Strauss’ Spätwerk in unterschiedlichen Gefühlsebenen auf. Ihr gelingt es, gleichermaßen zu trauern und zu hoffen, zu erschrecken, zu beruhigen und zu umarmen. Die Visitenkarte der russischen Sängerin fällt so morbid wie mondän aus, sie klingt ebenso nach Fin de Siècle wie nach unserer Gegenwart. Anna Netrebko verwandelt jene Lieder, die Richard Strauss 1948 als inneren Weltabschied in der Schweiz komponierte, zu einem persönlichen Seelenspiegel und zu einem zutiefst sinnlichen Ereignis.
In jedem Takt der Aufnahme klingt durch, dass die Staatskapelle Berlin maßgeblich von Richard Strauss persönlich geprägt wurde – seine Ästhetik ist bis heute Teil der Orchester-DNA. Während viele Dirigenten versuchen, die Klangfarben des Komponisten aufzuspüren, verwandelt Barenboim bei Strauss eine seiner tiefsten Musikerphilosophien in Töne. “Die Farben in der Musik sind wichtig”, sagt er, “das Geheimnis der Musik aber liegt im Gewicht, in ihrer Erdanziehung und ihrer Schwerelosigkeit, in ihrer Bodenhaftung und ihrer Leichtigkeit.” Und genau mit diesen Aggregatzuständen spielt der Dirigent. Statt geschmeidige Legato-Räusche hinzuhauchen, stöbert er die Gravitationskreise des Existenziellen auf: die feuchte Erdentiefe des Todes und die strahlend flirrende, nicht totzukriegende Hoffnung auf Erlösung.
Die Aufnahme entstand in Berlin beim Benefizkonzert zugunsten der Renovierung der Staatsoper. Das Konzert im August 2014 war nicht nur ein gesellschaftliches Ereignis der deutschen Hauptstadt, sondern eine musikalische Offenbarung. Die Welt jubelte über die “Idealkombination” von Netrebko und Barenboim, die Frankfurter Allgemeine Zeitung frohlockte: “alles ist Gold, was hier glänzt”, und die Berliner Morgenpost war beeindruckt von der archaischen Kraft des Orchesters, das “Anna Netrebko zu wuchtigen Ausbrüchen” anspornte.
Auch in der symphonischen Dichtung Ein Heldenleben beweist die Staatskapelle noch einmal mit Nachdruck, dass sie eines jener Orchester ist, das den Geist von Richard Strauss bis heute bewahrt. Angeblich hat sich der Komponist 1898 mit diesem Stück ein eigenes akustisches Heldendenkmal gesetzt. Eine Lesart, die Strauss stets dementierte. “Ich bin kein Held”, hat er gesagt, “mir fehlt die nötige Kraft; ich bin nicht für die Schlacht gemacht; ich ziehe es vor, mich zurückzuziehen, Ruhe und Frieden zu genießen.” Und tatsächlich findet Daniel Barenboim zwischen der Beschreibung des Helden, seiner Gefährtin, der Walstatt, der Weltflucht und der Vollendung das Universelle: das Ringen des Menschen mit sich selbst und der Welt. Ein rauschendes Panoptikum menschlicher Größe.