Etwas Mut gehört schon dazu. Denn Thomas Quasthoff lehnt sich weit aus dem Fenster. Als international führender Bassbariton und Referenz in Sachen Schubert & Co wagt er sich auf ein Klangterrain, auf dem bereits viele seiner Vorgänger gescheitert sind. Quasthoff singt Jazz und zwar nicht die zeitgenössische Variante, die ihm mit der Tendenz zur freien Gestaltung und zu offenen Formen die Möglichkeit des künstlerisch wertvollen Rettungsankers bieten könnte, sondern den Swing der Väter. Das macht ihn streitbar, auch wenn er sich dem Trommelfeuer der Puristen nicht schutzlos ausliefert. Sein Trumpf im Ärmel des neuen künstlerischen Anzugs heißt Till Brönner, Deutschlands Jazz-Koryphäe Nummer eins, Trompeter, Produzent und musikalisch über alle Zweifel erhaben. Er steht im Hintergrund von “Watch What Happens – The Jazz Album” und hat dafür gesorgt, dass Quasthoff die bestmögliche Ausgangsposition für seine Grenzüberschreitung hat. So ist etwas entstanden, das Maßstäbe setzt, eine musikalische Mauerschau, die das benachbarte Terrain von innen heraus versteht und ihm auf diese Weise eine neue Perspektive bietet.
Ein wenig geht es auch ums Prinzip. Im Interview mit dem führenden Jazzmagazin in Deutschland jazzthing, das Thomas Quasthoff in seiner aktuellen Ausgabe auf den Titel gehoben hat, erläutert der Künstler seine Motivation: “Ich finde es schade, wenn Jazz und Klassik sich gegenseitig ausschließen. Mir ist eher ein verbindendes Element wichtig. In der Klassik wie im Jazz versuche ich stets, Farbigkeit zu bewahren. Es geht darum, Texte zu gestalten. Deshalb suche ich nach Momenten, in denen sich Klassik und Jazz gegenseitig stützen. Man kann Jazz so singen, dass er der Klassik nicht schadet und umgekehrt”. Quasthoff jedoch belässt es nicht bei diesem Minimalanspruch, sondern geht noch einen Schritt weiter: “Wenn ich Jazz singe, dann singe ich Jazz und nicht Klassik im Jazzmäntelchen”. Das wiederum setzt voraus, dass sich Quasthoff bereits seit langem mit der Materie auseinandersetzt. Und tatsächlich: Wer den Sänger in ausgelassenem Ambiente erlebt hat, etwa im Anschluss an besonders gelungene Konzerte oder im persönlichen musikalischen Rahmen an Orten wie dem oberbayerischen Kulturhotel Schloss Elmau, der konnte ihn bereits live manches der Lieder singen hören, die nun im Studio festgehalten wurden, und dabei einen Sänger erleben, der auf der Basis einer bis in die Nuancengestaltung hinein perfekt geformten Stimme so richtig vom Leder ziehen konnte.
So wird schnell klar, dass ein Album wie “Watch What Happens” nicht über Nacht entsteht, sondern das Resultat einer langjährigen Beschäftigung mit dem reizvollen Sujet darstellt. Quasthoff ist Jazzfan und als solcher hat er sich gefragt, an welcher Stelle er ansetzen kann, um nicht zu wiederholen, was die Nat Coles, Johnny Hartmans und Tony Bennetts vor ihm besser gemacht haben. Er hat gesammelt und gewartet, ausprobiert und verworfen, immer wieder etwa in Zugaben seine Hörer mit Standards überrascht und auf diese Weise ein Gespür für den richtigen Zeitpunkt entwickelt, an dem er seine Passion in ein Programm verwandeln könnte. Schließlich bot sich die Gelegenheit, mit Till Brönner zu kooperieren. Als international einer der bekanntesten deutschen Jazzmusiker, darüber hinaus erfahrener Produzent, der schon mit Hildegard Knef gearbeitet und eben erst die zweite Karriere des Gesangskollegen Mark Murphy angeschoben hat, war er den richtige Mann, um das Wagnis einzugehen. Denn Brönner versteht sich nicht nur auf sein Instrument, auf Arrangements und Ensemblearbeit, sondern hat auch ein spezielles Gespür für die Schwingungen, die eine Musik braucht, um die Norm zu überschreiten. So wurde geplant und geschrieben, geübt und konzipiert, bis das Programm so bunt und vielschichtig war, dass alle Seite zufrieden waren.
Für die Arrangements konnte ein weiterer Profi des Geschäfts gewonnen werden, der amerikanischen Pianist und Klangfarbenspezialist Alan Broadbent. In den Studios in Berlin und Ludwigsburg versammelten sich im vergangenen Herbst schließlich die Crème der Swing- und Groovearbeiter, allen voran der Schlagzeuger Peter Erskine, der zu den feinsinnigen Beatästheten der internationalen Szene gehört. Am Bass stand Meister Dieter Ilg, für die Gitarrenfiguren sorgte Fusion-Veteran Chuck Loeb. Je nach Atmosphäre wurden die Lieder um eine Bläsersection oder auch das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin ergänzt, so dass ein rundum edles und sorgsam austariertes Tongefüge entstand, in dass Quasthoff seine Stimme betten konnte. Er selbst wiederum nahm es von der charmant lässigen Seite und durchmaß entspannt swingend ein stilistisch weitreichendes Feld von George Gershwin bis Stevie Wonder, das die Qualitäten seiner Stimme und seiner Gestaltungskraft möglichst maßgeschneidert zu präsentieren verstand. Das Resultat ist eine homogene und betörende Klangerfahrung, die der Jazzpublizist Wolf Kampmann folgendermaßen auf den Punkt bringt: “Ihre Spannung bezieht die CD nicht zuletzt aus dem Kontrast der Persönlichkeiten von Quasthoff und Brönner. Dabei drückt sich diese Gegensätzlichkeit zumeist in winzigen Interferenzen aus, die in der Produktion jedoch umso stärker zum Tragen kommen. Beide sind Perfektionisten, beide sind besessen von der Schönheit des Klangs … In ihrer Komplexheit und Ganzheitlichkeit ergeben die Songs ein völlig neues Kunstwerk, einen in sich geschlossenen Liederzyklus, der zugleich berauschend schön und unerträglich spannend ist”.
Weitere Informationen zu “The Jazz Album” mit Thomas Quasthoff und Till Brönner sowie zum Gewinnspiel finden Sie auf den Sonderseiten zum Projekt bei KlassikAkzente.