Man möchte sie an den Schultern nehmen, schütteln und sagen, sie sollten sich nicht so anstellen. Aber Romeo und Julia lieben sich auf verzehrend ausschließliche Weise, im Eifersuchtsstreit zweier bürgerlicher Familien verfangen, und so bleibt ihnen letztlich kein anderer Ausweg, als sich der Welt zu entziehen. Wäre das nicht der Fall gewesen, wäre die Weltliteratur nicht nur um eine ganze Reihe von Meisterwerken ärmer, sondern hätte die Musikkultur auch Charles Gounods wunderbare Oper „Roméo et Juliette" nicht geschenkt bekommen. Und der großartige Rolando Villazon hätte nicht gemeinsam mit der georgischen Sopranistin und Oper-Newcomerin Nino Machaidze bei den Salzburger Festspielen im vergangenen Jahr umjubelt seinen Erfolg feiern können.
Es ist ein Stoff, wie geschaffen für eine romantische Oper. Das Drama zweier Individuen, die mit ihren knospenden Persönlichkeiten im gesellschaftlichen Spiel der Eitelkeiten aufgerieben werden und die Oberflächlichkeit einer auf sinnloser Etikette des Adels und Tradition gründenden Gesellschaft zugunsten ihrer eigenen Selbstwerdung hinter sich lassen. Natürlich kann so etwas im romantisch biederen Zeitalter der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (wie schon in Shakespeares Vorlage) nur tödlich für die Ausbrecher enden. Der Liebestod ist überhaupt eines dieser dramatischen Lieblingswerkzeuge von Autoren, Künstlern und Komponisten dieser Jahre, verheißt er doch Flucht in das gesteigerte Leben, in die Intensität, eine Form von Eskapismus, der aus einer Wirklichkeit herausführt, die mit Industrialisierung, Nationalismus, sozialen und gesellschaftlichen Krisen einschließlich Kriegen immer unerfreulicher zu werden drohte. Für Charles Gounod jedenfalls war es nicht das erste Mal, dass er mit dem Thema zu tun hatte, denn bereits acht Jahre bevor er 1867 „Roméo et Juliette" vollendete, hatte er schon Gretchen in seiner Oper „Faust" Liebesqualen, Zweifel und Wahnsinn durchleben lassen.
Im Unterschied zu den Vorlagen allerdings verhieß der gelernte und passionierte Kirchenmusiker seinen Protagonisten immer noch den Ausweg des Glaubens. Liebe ist die eine Sache, körperlich aber versteht er sie nicht, eher als Etappe auf dem Weg zu Gott. Vereint im Tod, der Welt entwischt, ein seltsamer Gedanke aus heutiger Sicht, aber einer der sich eindrucksvoll musikalisch gestalten lässt. „Roméo et Juliette" ist daher nicht nur eine Oper der wunderbaren Liebesarien, sondern auch eine der bewegenden Duette und damit wie geschaffen für einen Sänger-Schauspieler wie Rolando Villazón, der einen vorzüglichen Liebhaber auf der Bühne abgibt. Im Sommer 2008 durfte er bei den Salzburger Festspielen seine Kunst der musikalischen und darstellerischen Verführung präsentieren und seine Partnerin, die georgische Sopranistin Nino Machaidze, in den Bann ziehen. Nicht nur das: In der betont sozialkritischen Inszenierung von Bartlett Sher blühte er in einem Maße auf, dass auch Presse und Publikum begeistert waren. „Die Inszenierung ermöglicht es mir, mich auf der Bühne wie Roméo zu fühlen, nicht wie Rolando Villazón in einem Kostüm", bemerkte der Künstler in einem Interview.
Außerdem hatte er allen Grund, seinen Charme sprühen zu lassen. Schließlich stand ihm mit Nino Machaidze eine reizende Juliette zur Seite, die nicht minder faszinierend in ihrer Rolle aufging. Machaidze, von der Opernwelt zunächst als Ersatz für die erhoffte Anna Netrebko, die sich bereits in ihrer Babypause befand, kritisch beäugt, erwies sich dabei als Überraschung für alle, die nicht regelmäßig die internationalen Wettbewerbe verfolgen. Intendant Jürgen Flimm jedoch hatte die 25-jährige Sopranistin, die erst 2007 in Istanbul den renommierten Leyla Gencer-Wettbewerb gewonnen hatte, längst als großes Talent wahrgenommen und sie umgehend für Salzburg verpflichtet. Er sollte Recht behalten, denn Machaidze brillierte souverän mit ihrem Rollendebüt und sang sich mit immenser Präsenz und Intensität auf direktem Weg in die Herzen des Publikums.
Die Veröffentlichung der gefeierten musikszenischen Umsetzung auf DVD unterstreicht nun diese mitreißende Bühnenpräsenz der Protagonisten und ihres Teams auch für alle Zuschauer nachvollziehbar, die nicht vor Ort dabei sein konnten. Denn Villazón und Machaidze agieren mit einer Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit, dass an keiner Stelle der fünfaktigen Oper Zweifel an der meisterhaften Interpretation aufkommen. Ergänzt um kurze Einführungen durch den Tenor und Szenen hinter der Bühne kann daher auf der Doppel-DVD „Roméo et Juliette" in famoser Bild- und Tonqualität Gounods Schmuckstück der romantischen Oper genossen werden, aus der ersten Reihe der Felsenreitschule und natürlich im besten Surround Sound.