Der “Messias” gehört noch immer zu den zentralen Dokumenten der englischen Musikkultur. Händels Vertonung des herausragenden Librettos von Charles Jennens hat alle säkulare Phasen der Geschichte schadlos überstanden. Mehr noch: Durch die intensive Auseinandersetzung der Musikwissenschaft mit dem monumentalen Werk, ist ein Blick darauf möglich, der die historische Dimension würdigt, ohne sie zu heroisieren. Paul McCreeshs Aufnahme ist ein Beispiel dafür.
Für den Dirigenten und Barockspezialisten Paul McCreesh war es ein besonderes Anliegen: “Der ‘Messias’ hat mich immer schon fasziniert. Wie konnte ein so offenkundig religiöses Werk, das mit Streitfragen seiner Zeit verbunden ist, zum Symbol im englischen Kulturleben vieler Generationen werden […] Ich wollte einen gänzlich modernen ‘Messias’ haben: Er sollte nicht nur die reine, makellose Genialität hinter Jennens' und Händels großartigem Wurf zum Ausdruck bringen, sondern versuchen, auch die ergiebigen Symbolschichten zu erfassen, mit denen alle bisherigen Generationen das Werk bereichert haben”. McCreesh durchforschte daher die Überlieferungen der rund zwölf Interpretationen, die sich aus Händels eigenen Aufführungen über 15 Jahre hinweg ergaben. Schließlich wählte er die Findelhaus-Fassung von 1754 als die seiner Vorstellung nach adäquateste Umsetzung der künstlerischen Ideen. Kurze Anmerkung: Händel war seit 1749 in Kontakt mit der Findelhaus-Wohltätigkeitsgesellschaft, die er sogar mit Geld- und Sachspenden unterstütze. In deren Kapelle leitete er auch die Erstaufführung des “Messias” im Jahre 1750.
McCreesh nahm die Findelhaus-Fassung als Grundlage der Neuaufnahme, modifizierte sie aber geringfügig zu Gunsten der größtmöglichen Klangwirkung und dramatischen Gestaltung. Die Sopran-Arien wurden ein wenig verteilt, die Stimmen der dritten Geigen in der Pifa und in “All They That See Him” waren nicht überliefert und wurden hinzugefügt, ebenso einige Oboen- und Fagottpassagen in Abstimmung mit anderen Autographen der Partitur. Schließlich wurde mit der um 1800 gebauten Orgel der Eaton-Kirche bei Belvoir Castle, Leicestershire, ein Instrument gewählt, das voller als vergleichbare Exemplare zu Händels Zeit klingt. Insgesamt jedoch wurde der aus den Vorlagen ableitbare Originalklang soweit als möglich beibehalten, so dass die Dynamik und dramatische Entwicklung der Vertonung der grundlegenden Geschichten des Christentums deutlich werden konnten.
Die Aufnahmen entstanden im Dezember 1996 in der Londoner All Saints Church und versammelten neben McCreesh und den ihm verbundenen Gabrieli Consort & Players die Solosoprane Dorothea Röschmann und Susan Gritton, die Altistin Dorothea Fink, den Tenor Charles Daniels und den Bass Neal Davies vor den Mikrophonen. Festgehalten im hochmodernen 4D Audio Recording-Verfahren entstand eine klangnatürliche und interpretatorisch transparente Version eines der wichtigsten sakralen Oeuvre der Neuzeit: “Wie jeder Dirigent kann ich nur hoffen, dass der ‘Messias’ in dieser Einspielung etwas von meiner Liebe zu und meiner Hochachtung vor diesem ehrwürdigen Werk wiedergibt. Viele Hörer werden den ‘Messias’ nicht mehr als Vermächtnis für die Dauerhaftigkeit der christlichen Botschaft auffassen, aber Gläubige wie Ungläubige vermögen in diesem Werk einen überwältigenden Triumph menschlichen Strebens erkennen. Deshalb ist dieses Meisterwerk so stark und kann zuversichtlich über die Jahrhunderte hinweg vom Findelhaus um die Mitte des 18.Jahrhunderts zu einem neuen Jahrtausend sprechen”.
Die Referenz:
“Alles in allem eine wirkliche Bereicherung des in Sachen Messians reichlich strapazierten Katalogs.” (R. Emans in Stereo 1/98)
Näheres zur Referenz-Reihe unter http://www.referenzaufnahmen.de