Francisco Gómez de Sandoval y Rojas, Herzog von Lerma, war eine umstrittene Gestalt. Die einen hassten den Berater König Philipps III. von Spanien, weil er seinen Herren zu Prunk und repressiver Politik anhielt. Die anderen schätzen ihn als Förderer der Künste, der das von der Reconquista geplagte Land erst mit wahrer höfischer Kultur in Verbindung brachte.
Der 6. Oktober 1617 muss ein prachtvoller Tag gewesen sein. Immerhin war es dem Herzog gelungen, den spanischen König einschließlich dessen Hofstaates nach Lerma einzuladen. Über Jahre hinweg hatte der umtriebige Adelige seine Heimatstadt umbauen und neu gestalten lassen, für Gelegenheiten wie diese, als sich Philipp III. für zwei Wochen in der Provinz aufhielt. Man begann mit einem Pontifikalamt in der Kirche St. Pedro und einer Vesper am Nachmittag. Tags darauf wurde das Heilige Sakrament mit einer festlichen Prozession begleitet von Musik zur Kirche geleitet. Die verschiedenen Choräle und Musikstücke stammten von unterschiedlichen Autoren wie etwa dem königlichen Kapellmeister Mateo Romero und wurden von bis zu fünf Ensembles vorgetragen. Nach dem Ereignis wurden die dazu benötigten Notenhandschriften und Sammeldrucke sorgsam in der Musikbibliothek des Herzogs archiviert. Dort blieben sie bis ins 19. Jahrhundert, als sie ein Chorleiter aus dem benachbarten Burgos entwendete.
Erhalten blieb allerdings ein Manuskript, das noch immer in der Gemeindebibliothek des Ortes liegt. Es enthält einen Querschnitt wichtiger und typischer regionaler Werke aus der Zeit des frühen 17. Jahrhunderts, vom Kapellmeister Philipps II. Philippe Rogier und dessen Schule, dessen Kollegen in Sevilla unter der Leitung von Francisco Guerrero und auch aus Toledo, deren Kapelle zu dieser Zeit Alonso Lobo vorstand. Sie spiegelten Details der liturgischen Dienstpflichten wieder und dienten zusammen mit einer ergänzenden Handschrift in der Universitätsbibliothek von Utrecht zugleich dazu, die Musik aus der Zeit des Herzogs von Lerma zu rekonstruieren. Es sollte ein Spektakel werden wie damals anno 1617, zwar nicht mit dem höfischen Prunk, aber doch den originalen Klängen am authentischen Ort. Also reiste Paul McCreesh zusammen mit dem Gabrieli Consort und einer Reihe Instrumentalisten nach Lerma und organisierte im September 2001 eine einzigartige Aufführung in der Colegiata de San Pedro. Es wurde ein Fest für den Ort und ein besonderer Moment für die Liebhaber der historischen Aufführungspraxis frühneuzeitlicher Musik.
Denn originaler ging es kaum noch: “Wir kamen am letzten Tag der lokalen Fiesta an – und die Einwohner von Lerma wissen, wie man feiert! Vielleicht war das atemberaubende Feuerwerk, das über dem Kirchturm aufstieg, ein gutes Omen – in jedem Fall bewahrheitete sich alsbald meine in langjähriger Arbeit auf dem Gebiet der geistlichen Musik erworbene Erkenntnis: Die alten Meister waren nicht nur als Komponisten, sondern auch als ausübende Musiker und Praktiker genial. Als alle Sänger im Chorgestühl Platz gefunden hatten, wo das viele Holz den Schall verstärkte, und sich die Instrumentalisten in ihren Emporen drängten, ergab sich augenblicklich ein wohl ausgewogener Klang, den die klare, großzügige Akustik noch zusätzlich verbesserte”, erinnert sich McCreesh an die Aufnahmen in Spanien. So mussten die Techniker nur noch das Kunststück vollbringen, dieses Raumgefühl auf die CDs zu übertragen, die die Musik vom Ort unabhängig wiedergeben. Und so entstand mit “Music For The Duke Of Lerma” ein ungewöhnliches, weil vom Flair der Geschichtlichkeit inspiriertes Klangdokument einer vergessenen Zeit.