Mit großen Klang-Architekturen hat das Emerson String Quartet sich seinen Ruhm erspielt. Jetzt betreten sie mit Bachs “Kunst der Fuge” die Kathedrale der Musik.
Unendlich viele Mythen hat die “Die Kunst der Fuge” angelockt. So soll Johann Sebastian Bach über seinem Opus Summum gestorben sein. Dem fragmentgebliebenen Prachtbau der Kontrapunktik hat diese Legende zumindest eine ähnlich jenseitige Aura verliehen, wie die fehlende Besetzungsangabe. Und aus der Bach-Metaphysiker schlußfolgern, dass nur das trockene Partiturstudium die wahre “Fugen”-Essenz offenbart. Glücklicherweise sprechen mittlerweile die Fakten: Bach begann sein angeblich letztes Werk schon 1737, nahm es 1747 und 1749 wieder auf. Und in der Praxis hat die “Kunst der Fuge” in den unterschiedlichsten Besetzungen längst bestanden. Doch wohl nur ein Streichquartett kann das Stimmengeflecht und den melodisch-harmonischen Reichtum bis zum riesigen Torso-Finale formvollenden. Aber dann auch nur, wenn es das Emerson String Quartet ist. In der Neuaufnahme der Amerikaner herrscht modernste Vitalität – die zugleich die Achtung vor der Großarchitektur vermittelt. Die Fugen-Strenge besitzt atmende Würde, mancher Contrapunctus eine tänzerische Leichtigkeit, für die der erste ESQ-Violinist Eugene Drucker nur ein Wort findet: “Da rockt es”. Und da “Die Kunst der Fuge” ein Testament mit Work in progress-Charakter ist, hat sich das ESQ für eine Satzfolge entschieden, die in diesen Organismus neue Zugkraft spannt. Selbst der angefügte Choral “Wenn wir in höchsten Nöten sein” wird endlich nicht mehr als Bachs wirklich allerletzte Komposition verklärt, sondern entpuppt sich als eine schlichte Neubearbeitung.
Natürlich war J.S.Bach für das Emerson String Quartet kein Unbekannter, als man jetzt ins Studio ging. In der 27-jährigen Erfolgsstory des ESQ, zu der nicht zuletzt die mehrfach Grammy-gekrönten Aufnahmen bei der Deutschen Grammophon beigetragen haben, fand man immer wieder zu ihm. Zuletzt beim Festival “Perspective 2000” von Maurizio Pollini, der das ESQ zu einem Fugen-Abend einlud. Mit Beethoven, Kurtág und eben Bach. Dass “Die Kunst der Fuge” unter ihren Händen nun zu so einem Gipfel der Musikgeschichte und der Quartett-Literatur gereift ist, überwältigt selbst Cellist David Finckel: “Wenn ich die ‘Kunst der Fuge’ höre, ist es so, als ob meine musikalischen Fenster endlich frischgeputzt werden. All die andere Musik wird für mich dann noch klarer, noch begreifbarer.” Solche Nebenwirkungen von Musik sind selten. Das Emerson String Quartet zeigt aber, dass sie möglich sind.